#noafdstgt – Erfahrungsbericht aus der Gefangenensammelstelle

17.05.2016

Der folgende Erfahrungsbericht stammt von einem Mitglied der GJBW und gibt nicht zwangsläufig die Meinung des Verbands wider. Aus Schutzgründen werden Klarnamen nicht genannt.

Am 30.04.16 beteiligte ich mich an friedlichen Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Stuttgart. Ich war mir bewusst, dass es ein anstrengender Tag werden und die Polizei stark vertreten sein würde, doch was dann passierte übertraf alle negativen Erwartungen um ein Vielfaches. Ich war erst 20 Minuten auf der Straße, als ich mich plötzlich im Polizeikessel wiederfand. Im Folgenden möchte ich berichten, wie es dazu kam, dass ich für meine friedlichen Proteste neun Stunden lang eingesperrt wurde, wie es mir dabei erging und wie ungerecht das Vorgehen der Polizei gegen Demonstrant*innen war.

EINGEKESSELT

Um sechs Uhr traf ich mich am Stuttgarter Hauptbahnhof mit hunderten anderen Aktivisten. Mit der S-Bahn wollten wir gemeinsam zur Messe fahren, wo eine Kundgebung geplant war. Nachdem die Polizei die Bahn zu einem 10-minütigen Stopp gezwungen hatte, entschied man sich, eine Station früher auszusteigen und zur Messe zu laufen, um nicht direkt von der Polizei empfangen zu werden. Vom Bahnhof Echterdingen zog kurze Zeit später eine Gruppe von hunderten Menschen in Richtung Messe. Das ging ca. 10 Minuten lang gut, bis wir auf eine Straßenbarrikade mit brennenden Autoreifen trafen. Leider liefen wir der Polizei direkt entgegen, die gerade anrückte. Also liefen plötzlich alle in Panik weg, ich mittendrin. Wir rannten einfach los, ohne zu wissen wohin, Hauptsache weg. Das Ziel war nach wie vor, das Messegelände zu erreichen. Da niemand wirklich wusste wohin, verteilte sich die Menschenmenge bald. Die Polizei rückte auf und verhinderte eine Flucht zurück. Ich rannte einigen anderen hinterher, die einen Weg über Felder und die angrenzende Straße suchten, wo auf der anderen Seite das Messegelände lag. Doch auf einmal kamen von allen Seiten Polizisten und schnitten uns den Weg ab. Sie trieben uns zusammen wie Vieh, wir waren eingekesselt.
„Halten Sie Ihr Maul und bleiben Sie, wo Sie sind!“ schrie uns ein Polizist an. „Treibt sie enger zusammen“ rief ein anderer. So saßen wir 30 Minuten, als es hieß: „Sie werden des Landfriedenbruchs und Barrikadenbaus verdächtigt und kommen jetzt in Gewahrsam. Verhalten Sie sich ruhig und kooperativ, dann passiert Ihnen auch nichts, sonst werden wir Gewalt anwenden!“ Kurz darauf wurden wir (21 Personen) von etwa 20 Polizisten des USK („Unterstützungskommando“) in Zelle 9 auf dem Messegelände gebracht. Dort wurden wir durchsucht und man nahm uns alles ab, was wir bei uns hatten. Dann hieß es erst einmal Warten. Nach einiger Zeit wurden alle einzeln mit ihren abgenommenen Sachen fotografiert. Eine Polizistin erklärte mir, dass ich der Nötigung verdächtigt werde und die Wahl hätte, ob ich dazu eine Aussage machen möchte oder nicht, oder ob ich zuerst mit meinem Anwalt sprechen möchte. Ich gab an, gerne mit meinem Anwalt sprechen zu können und äußerte diesen Wunsch auch während der restlichen Zeit in Gefangenschaft immer wieder – er blieb mir bis zu meiner Freilassung verwehrt.

ANWALT KONTAKTIEREN? NÖ

Nach dem Fotoshooting wurde ich der baden-württembergischen Polizei übergeben, welche mich in Zelle 4 einsperrte. Diese „Zellen“ waren Menschenkäfige, bestehend aus acht Bauzäunen a 3,5 Meter. Darin waren außer mir noch 22 weitere Personen gefangen gehalten. Sie waren mit Kabelbindern gefesselt, die Hände auf dem Rücken. Mir blieb das vorerst erspart. Von diesen Käfigen standen in Halle 9 fünf Stück, getrennt nach Geschlecht, alle etwa mit 20-25 Personen darin. Davor standen bis zu sechs Wachen in voller Montur den Schlagstock einsatzbereit in der Hand. Ich war geschockt und wütend über diesen Umgang mit unschuldigen Menschen, ich fühlte mich wie ein Schwerverbrecher. Das einzige Ziel dieser Aktion war, so viele Demonstrierende, wie irgendwie möglich festzusetzen und zu unterdrücken, was auch gelungen ist.
Da saßen wir also eingesperrt in einen Käfig aus Bauzäunen ohne Wasser und ohne Essen. Ich fragte regelmäßig wann ich denn nun mit meinem Anwalt telefonieren dürfte, doch die Typen lachten mich nur aus. Genauso erging es einem Mitgefangenen, der um ein Sicherstellungsprotokoll bat. Nach etwa einer Stunde wurde ich nochmals zum Fototermin gebeten, diesmal bei der Polizei BW. Danach wurden auch meine Hände gefesselt, allerdings so dass ich schnell wieder befreit hatte, was nach und nach allen gelang. Kurz darauf gab man uns auch endlich etwas zu trinken, aber Essen gab es nicht.

INFOS? FEHLANZEIGE

Es war ein absolut schreckliches Gefühl von Ungewissheit gemischt mit einer großen Menge Wut und Frustration. Niemand wusste wie lange man uns festhält und was noch mit uns passieren würde. Ich hatte zeitweise die Befürchtung erst am nächsten Tag entlassen zu werden, was theoretisch auch möglich gewesen wäre. Irgendwann verbreitete sich unter den Gefangenen das Gerücht, dass wir einem Haftrichter vorgeführt würden, welcher darüber entscheidet ob wir auf freien Fuß oder in U-Haft kommen. Glücklicherweise blieb es nur ein Gerücht.
Sieben der acht Bauzäune waren mit einer Plane bedeckt, nur einer ermöglichte die Sicht nach draußen und die war teilweise richtig beängstigend: In einem Nachbarkäfig, wo Frauen (darunter auch offensichtlich Minderjährige) eingesperrt waren, ließen die Personen ihrer Wut freien Lauf. Sie rüttelten an den Gittern, rissen an den Planen und schrien Parolen, die von Gefangenen aus der ganzen Halle erwidert wurden. Die Wächter reagierten sofort indem sie mit ihren Schlagstöcken gegen die Gitter schlugen. Als diese Maßnahme nicht die gewünschte Wirkung zeigte gingen sie in den Käfig, zerrten eine ca. 17 jährige heraus, schlugen auf sie ein bis sie sich nicht mehr werte, fixierten ihre Hände mit Kabelbinder und schubsten sie sehr unsanft wieder hinein. Das ist nur eins von vielen Beispielen für das menschenunwürdige Verhalten der Polizei. Jede Stunde trafen etwa zwei Busse vollbesetzt mit Demonstrant*innen ein. Es schien als würden die Gefangenen in ganz Stuttgart eingesammelt. Andere Personen erzählten, dass sie in eine Zelle im Polizeibus gesperrt wurden, wo es kein Licht und viel zu wenig Luft gab.

BÜROKRATISCHES CHAOS

Die Zahl der Personen in unserem Käfig stieg auf 30 an, es wurde relativ eng. Man gab uns ausreichend zu trinken und irgendwann sogar Essen. Die Solidarität unter den Gefangenen war genauso groß wie die Wut auf die Polizei.  Am Nachmittag passierte endlich das worauf wir schon den Tag gewartet hatten: Die ersten Gefangenen wurden entlassen! Ein Beamter der Kriminalpolizei holte die erste Person aus unserer Gruppe ab, beschützt von zwei stark bewaffneten Polizeibeamten (wir müssen einen sehr gefährlichen Eindruck gemacht haben). Etwa um 16 Uhr war es auch für mich soweit. Nachdem er mich durchsucht hatte (Begründung: Das sei nicht ordentlich durchgeführt worden!) begab sich der Polizist auf die Suche nach meinem Ausweis und der Tüte mit den mir abgenommenen Sachen darin. Dafür benötigte er ganze 30 Minuten, was auch nicht verwunderlich ist bei diesem Chaos. Die „Arbeit“ (wenn man Kopieren und Kaffeetrinken als Arbeit bezeichnen möchte) der Polizei erfolgte ohne Ordnung und System, überall lagen Tüten und kopierte Blätter herum. Als meine Sachen endlich da waren bekam ich einen Platzverweis für das Messegelände und sollte ein Zettel unterschreiben um zu bestätigen, dass mir ein Gegenstand (Fahnenstange) abgenommen wurde, „der dazu gedacht ist die öffentliche Sicherheit zu gefährden“. Das wäre jedoch fast einem Geständnis zu den Vorwürfen gleichgekommen weshalb ich die Unterschrift verweigerte. Anschließend wurde ich in einen (zu meinem Pech fast leeren) Bus gesteckt, der mich vom Messegelände wegbringen sollte. Wohin genau sagte man mir nicht. Nach über einer Stunde war der Bus endlich voll und brachte (natürlich in Begleitung der Polizei) die Insassen zu einem S-Bahnhof, der einige Kilometer von der Messe entfernt ist. Beim Verlassen des Messegeländes sah ich einige eingekesselte Aktivisten, die offensichtlich für die Freilassung der Gefangenen demonstrieren wollten. Auch hier wurde friedlicher Protest von der Polizei unterdrückt! Bevor der Bus abfuhr kamen zwei Polizisten herein und verteilten noch einige Personalausweise: „Hier ist noch Ihr Ausweis Herr Müller, den haben wir gerade gefunden“. Zusätzlich gab es noch einen netten, ausschließlich gut gemeinten Hinweis: „Wenn Sie gegen den Platzverweis verstoßen, werden wir Ihre Freunde nicht freilassen!“. Das ist zwar nicht zulässig, aber wen interessiert das schon. Am Bahnhof angekommen empfing uns eine Gruppe von Polizisten, die uns verboten in einen Zug in Richtung Messe zu steigen, selbst diesen Bahnsteig durften wir nicht betreten. Erst beim Betreten der S-Bahn waren wir vor denen in Sicherheit.

KONSEQUENZEN? EHER NICHT

Ich habe noch nie so etwas Unmenschliches erlebt wie an diesem Tag. Bisher waren mir solche Szenarien nur aus Medienberichten bekannt und die kamen meistens nicht aus Deutschland. Das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen hunderte unschuldige Aktivisten ist durch nichts zu rechtfertigen und gehört mit aller Härte bestraft. Leider weiß ich genau, dass das nie der Fall wird und diese Unmenschen weiterhin die Freiheit haben werden zu machen was sie wollen!